„Wollen wir zusammen den Berlin-Marathon 2013 laufen?“
Als mich im letzten Herbst diese E-Mail meines gelegentlichen Laufpartners Wolfgang aus dem Spanienurlaub erreichte, hielt ich das ganze zunächst für eine reichlich gewagte Idee. Ich lief erst seit 2½ Jahren und war gerade beim Rennsteig Herbstlauf das erste Mal über 20 km gestartet. Und dann auch noch Berlin, 40.000 Teilnehmer – war das nicht eine Spur zu groß für mich? Dann reizte mich die Sache aber doch irgendwie und ich stimmte zu. Es war ja noch ein Jahr Zeit für die Vorbereitung.
In den darauf folgenden Monaten sammelte ich reichlich Trainingskilometer und Wettkampferfahrung bei diversen Teilnahmen auf den verschiedenen Unterdistanzen, bis hin zum Halbmarathon; seit April 2013 dann auch als Mitglied des SC Impuls. In Birgit Münch hatte ich eine gute Lehrmeisterin gefunden, die mich viele Kilometer durch den Steiger jagte und mit guten Ratschlägen versorgte. Einige Vorbereitungsläufe spulten wir so gemeinsam ab. Anfang August begann die heiße Trainingsphase für das große Ereignis. Für die gezielte Vorbereitung auf meinen ersten Marathon suchte ich mir einen Trainingsplan von Herbert Steffny aus, den ich (fast) sklavisch abarbeitete. Und dann kam der Tag X.
Ich war bereits freitags in Berlin angereist, damit ich den Marathon-Event in aller Ruhe angehen konnte. Die Startunterlagen mussten auf dem Messegelände, dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen, abgeholt werden und ich wollte mich natürlich auch auf der Messe umsehen und ggf. ein neues Outfit erwerben. Quartier hatte ich bei meinem Bruder in Berlin-Heiligensee bezogen. Samstagabend schlief ich vor Aufregung nur schlecht ein. Nach einem kurzen Frühstück ging es dann endlich am Sonntag um 6:30 los. Die Wettervorhersage versprach optimale Bedingungen, mit Sonnenschein und erwarteten 14 °C Höchsttemperatur. Von der S-Bahn-Station Brandenburger Tor ergoss sich ein endloser, mit weißblauen Kleiderbeuteln behängter Läuferstrom in Richtung Startbereich. Man wurde förmlich mitgerissen. Nach penibler Einlasskontrolle, die den Anschlägen im Frühjahr dieses Jahres beim Boston-Marathon geschuldet war, war die richtige Beutelabgabebox schnell gefunden. Alles war bestens organisiert. Behängt mit gelben Plastetüten und einem alten Pulli gegen die Kälte, kämpfte ich mich mit Freund Wolfgang durch das Läufergewusel in den Startblock „H“ (wie: hinten und hochmotiviert) für die Marathon-Ersttäter durch. Überall wurde fleißig fürs Familienalbum fotografiert. Letzte Toilettengänge wurden getätigt; jetzt eine günstige Gelegenheit, da die Dixies im Startbereich weitgehend leer waren.
Um 8:45 starteten dann die kenianischen Favoriten den Kampf um den Titel und möglicherweise neuen Weltrekord. Block H wurde erst knapp 30 Minuten später auf die Strecke entlassen. Plastetüte und Pulli wurden an die Absperrung gehängt, wo fleißige Helfer gleich mit dem sortieren der Altkleider begannen. Und dann lief auch ich endlich los, inmitten eines unübersehbaren Marathoni-Lindwurmes, der sich die Straße des 17. Juni entlang wälzte; Wolfgang war bereits in der Menge abgetaucht. Mein Ziel war es um die 4:30 zu laufen, das hätten meine letzten 10 km-Zeiten wohl hergegeben. Ich wusste natürlich, dass das schwer sein würde und ließ es daher langsam angehen um mich zunächst einzulaufen und zu testen was mein Rücken macht. Denn in der Woche vor dem Wettkampf hatte sich mein Ischias zurück gemeldet und bereitete mir Probleme. Aber der Ischias musste nun warten. Augen zu und durch. Für die ersten 5 Kilometer benötigte ich etwa 0:33 Minuten, das war o.k. Auch die weiteren 5 km-Zwischenzeiten bewegten sich in diesem Rahmen. Als ich bei Kilometer 20 eine 2:16 auf der Uhr stehen hatte, war mir aber klar, dass ich die 4:30 kaum schaffen würde.
Wesentlich schneller zu laufen gab der Rücken nicht her. Ich hatte auch Bedenken, ob ich bei einem schnelleren Tempo in der zweiten Hälfte mein Pulver nicht zu schnell verschieße. Hauptsache durchkommen. Ansonsten fühlte ich mich gut und nahm weiter alle Verpflegungs- und Erfrischungsstationen mit, um dem „Mann mit dem Hammer“ zu entrinnen. Auf der Strecke war für Ablenkung von vermeintlichen und echten Läuferzipperlein reichlich gesorgt. Etliche Läuferinnen und Läufer hatten sich kostümiert. Mir begegneten Asterix und sein Hinkelstein tragender, dicker Freund Obelix, eine Horde Sträflinge, eine kleine Koranerin in Landestracht mit einer Art Törtchen auf dem Kopf und sogar ein Feuerwehrmann in voller Montur (mit dem hätte ich nicht tauschen wollen). Manche Läufer hatten eine Art Ehrenurkunde auf dem Rücken befestigt, die ihnen die 10., 25. oder gar 31. Teilnahme am Berlin Marathon bestätigte. Ich war beeindruckt. Zudem führte die Strecke an zahlreichen Sehenswürdigkeiten Berlins vorbei und an vielen Stellen waren Musikbands und Trommlergruppen angetreten um den Läufern kräftig einzuheizen. Die vielen tausend Zuschauer, Freunde und Familienangehörige der Marathonis, die die gesamte Strecke säumten und die Läufer anfeuerten, waren einmal mehr Motivation durchzuhalten. Eine unglaubliche Stimmung. Jetzt konnte ich verstehen, warum alle vom Berlin-Marathon so begeistert sind.
Ab etwa Kilometer 30 meldete sich an meinem linken Fuß eine Blase. Zähne zusammenbeißen, es waren ja nur noch 12000 Meter bis ins Ziel. Ich wollte es unbedingt schaffen, auch wenn die Beine schwerer wurden. Die Zeit war immer noch o.k. mit einem 33er Schnitt auf 5 Kilometer. KM 33, KM 35, so weit war ich noch nie gelaufen. Jetzt noch den Kudamm rauf, so weit war es nicht mehr. Die Zuschauer feuerten die Läufer frenetisch an. Die Stadt glich einem Hexenkessel. Wo war der Hammermann? Der hatte mich wohl vergessen. Auch nicht schlecht. Nur noch zwei Kilometer. Endlich, Einbiegen in die Französische Straße, das Brandenburger Tor war in Sicht, kurz danach ist es geschafft. Das Ziel vor Augen werden ungeahnte Kräfte frei, ich konnte noch einen drauflegen und lief, andere Läufer überholend im Schlussspurt ins Ziel. 4:42 (4:41:56) zeigte meine Uhr. Im Ziel lief ich Esther in die Arme, die schon ungeduldig auf Birgit wartete. Jetzt hatte ich es tatsächlich geschafft und bekam die dicke Finisher-Medaille als Lohn für die Schinderei umgehängt. Ein tolles Gefühl. Stolz über die Leistung vermischte sich mit Erleichterung, dass es nun vorbei war. Mit einem kühlen Erdinger stieß ich mit Wolfgang, der schon eine ganze Weile vor mir im Ziel war, auf den gemeinsamen Erfolg an. Nachdem mein Muskelkater sich in Grenzen hält, habe ich mich heute, zwei Tage später, für 2014 vorregistrieren lassen!
Übrigens – dem Ischias hat die Rosskur gutgetan.
Susanne Philippus